Bereits im März 2017 erschien das inzwischen vierte Album „The Discovering Of Time“ des Elektronik-Projektes Cinema, als dessen Kopf der Werdohler Musiker Jürgen Krutzsch agiert.
„Pöngse“, wie Krutzsch in seinem Heimatort genannt wird, betreibt die im südlichen Märkischen Kreis und darüber hinaus bekannte und beliebte Musikkneipe „Alt Werdohl“ und hat dort regelmäßig hochklassige Bands und Musiker zu Gast. In den 70er Jahren war Krutzsch Gitarrist der Krautrock- und Progressive-Formation „Tibet“, die nur einen einzigen, dafür jedoch exzellenten Longplayer mit dem Bandnamen als Titel veröffentlichte.
Das nur sieben Tracks umfassende Werk ist noch heute erhältlich und genießt unter den Liebhabern dieser Musikrichtung zu Recht Kult-Status. Die Musik, die der Werdohler unter dem Projektnamen Cinema veröffentlicht, stellt den handgemachten Rock in den Hintergrund, wenngleich dieser aber durchaus noch vorhanden ist. Vielmehr richtet Jürgen Krutzsch das Hauptaugenmerk auf elektronische Klänge, die an Progressive-Formationen wie Pink Floyd, jedoch in weiten Teilen vor allem an Elektronik-Zauberer wie Jean Michel Jarre, Mike Oldfield oder Vangelis erinnern. Gleichzeitig nutzte Krutzsch seine noch immer hervorragenden Kontakte in die Musikszene und bindet in seine Elektronik-Klänge, die er überwiegend am Rechner in seinem Büro produziert, immer wieder Parts unterschiedlicher Gastmusiker ein, die in aller Regel für rockige Töne innerhalb der Produktion sorgen.
Unterstützt wird Krutzsch dabei von Brigitte Grafe, ehemals 12 Jahre lang eine Hälfte des Dattelner Folk- und Acoustik-Duos „Absaits“, die sich um alle technischen Belange des Cinema-Projektes kümmert. Als weitere Musiker sind auf dem Album Schlagzeuger Dirk Brand, Mitglied der bekannten deutschen Hardrock-Band Axxis, Gitarrist Benjamin Peiser, der bereits auf den letzten beiden Cinema-Alben vertreten war und unter anderem der Formation Billie Ray & The Wild angehört, Jörg Dudys, festes Mitglied der Jule Neigel Band und Studio-Musiker unter anderem für Reamonn, Wolfgang Niedecken und Xavier Naidoo sowie der Gitarrist und Sänger Christian Schwarzbach vertreten, der bereits mit ZZ-Top und Jethro Tull auf Tour war.
Seinem Konzept, bezogen auf das Projekt Cinema, ist Jürgen Krutzsch auch bei „The Discovering Of Time“ treu geblieben. Verspielte Klangwelten regen beim geneigten Hörer die Phantasie an und laden zum Träumen ein. Dabei geben die Musiker in ihren Songtiteln wie „Lost In Space“ oder „City Night“ zwar eine Vorgabe, was sie sich bei den überwiegend instrumentalen Nummern gedacht haben, aber natürlich funktionieren die insgesamt zehn Tracks auch, wenn sie der Hörer hintereinander als Ganzes auf sich einwirken lässt, entspannt die eigene Vorstellungskraft aktiviert und sein eigenes Kopfkino startet.
Eine Schwäche des Albums ist allerdings – wie auch schon bei der vorangegangenen Cinema-Scheibe „Loopings“ -, der Umstand, dass manche der verwendeten Sounds für den heutigen Hörer einen gewissen anachronistischen Charakter haben, der an die guten alten 80er Jahre und inzwischen weitgehend in Vergessenheit geratene Elektronik-Zauberer à la Jan Hammer erinnert. Ob dieser Sound von den Machern so gewollt oder der von Krutzsch verwendeten Magix-Music-Maker-Software geschuldet ist, die ja mutmaßlich eher im semiprofessionellen Bereich Verwendung findet, lässt sich nicht eindeutig nachvollziehen. Insgesamt richtet sich „The Discovering Of Time“ überwiegend an Elekronik-Nostalgiker und weniger an die Fans modernen Elektropops oder gar die Anhänger zeitgenössischer DJ-Stars. Letztlich setzt sich das Werk, wie bereits sein Vorgänger, stilistisch zwischen die Stühle, können doch vermutlich die Fans moderner elektronischer Musik mit den Klangcollagen in der Tradition der 70er und 80er Jahre nicht wirklich viel anfangen, während für Anhänger von Krautrock-Formationen wie Tibet das Werk einfach zu elektronisch geraten sein könnte. Die musikalische Nostalgie bedient Krutzsch mit einer Vielzahl an Zitaten und Reminiszenzen, welche an Musiker wie Mike Oldfield, David Gilmour oder Alan Parsons gemahnen, wobei jedoch letztlich wenig zu finden ist, was als eigene musikalische Handschrift identifiziert werden könnte.
Ungeachtet dessen werden sich Fans und Freunde des Musikers freuen, wieder einmal ein neues Werk von Jürgen Krutzsch in Händen halten zu dürfen, dem man ebenso wie den zahlreichen Gastkünstlern Enthusiasmus und Leidenschaft an der Musik wahrlich nicht absprechen kann. Eine echte Sensation wäre jedoch angesichts des herausragenden Tibet-Albums aus den 70ern und der viel zu frühen Auflösung der Band, die sicher ein Stern am Progressive-Rock-Himmel hätte werden können, eine Reunion der Combo (oder zumindest ein neues Album). Das würde sicher viele Krautrock-Fans glücklich machen.
Anspiel-Tipp: „Riding The Iron Horse“, „Big City Night“
Bewertung: 3,5 von 5 Punkten