Es ist gewiss kein Phänomen der heutigen Zeit, aber es grassiert in jüngster Zeit immer mehr. Wie ein Virus verbreitet sich das „Scheiß egal was ich früher für Mucke gemacht habe, ich mach jetzt Pop“-Phänomen. Erwischt hat es jetzt „The Black Keys“, die sich mit ihrem neuen Album „Turn Blue“ in den Pop-Himmel (Pop-Hölle trifft es für andere vermutlich besser) katapultiert haben.
Die glockenhellen Klänge, die beim Opener der Platte „Weight Of Love“ erklingen, sind kein Ausrutscher, sie nehmen den Stil der softigen loftigen schmusigen Platte, die so ganz anders als die alten Alben klingt, vorweg. Und schon bahnt sich ein Sturm der Entrüstung von alten „Black Keys“-Fans durch die Foren seinen Weg. Ich fasse diese Entrüstung mal so zusammen: Das mag für Popbreiradiostationen, angegraute Cabriofahrer beim Cruisen über Landstraßen oder Klangdesigner von Fahrstuhlmusik okay sein, für Musikliebhaber geht dieses Gedudel mal so gar nicht.
Bei aller überzogenen Kritik, sollte die Frage schon gestellt werden: Steuern Künstler wie „The Black Keys“ bewusst in so eine Richtung oder werden sie von leeren Geldbörsen und Kühlschränken in diese Richtung getrieben, weil sich mit poppigen Klängen am meisten Kohle scheffeln lässt? Von vielen ihrer Fans werden sie sicher nicht getrieben. Zumindest von jenen Fans der ersten Stunde nicht, die schon beim Vorgänger „El Camino“ ahnten, dass der Blues so langsam durch Pop ersetzt wird. Ausgerechnet Pop… Ja, sie machen jetzt Pop, aber der ist verdammt gut gemacht. Fast ausnahmslos alle Lieder der Platte bieten das Potential für Ohrwürmer, so dass sich die Platte in einem Rutsch durchhören lässt. Beim wiederholten Hören stellt man zudem fest, dass auch die Texte fein geschrieben sind und sich wohltuend vom Einheitsbrei der selbst ernannten Popsternchen abhebt.
Dass es auch anders geht, das es nicht zwangsläufig auf „alles Pop oder was?“ hinauslaufen muss, beweist Jack White mit seinem neuen Album „Lazaretto“. White bleibt sich seiner Linie, die er schon bei seiner Band „The White Stripes“ und deren Nachfolgern pflegte und hegte, treu. Spätestens an dieser Stelle muss für alle, die es noch nicht wussten, weil ihnen die Yellow Press mit ihren so genannten Nachrichten am Allerwertesten vorbei geht, erwähnt werden, dass Jack White kein Freund vom ebenfalls in Nashville lebenden Black-Keys-Gitarristen und -Sängers Dan Auerbach ist. In einer E-Mail an seine Ex-Frau Karen Elson hatte White geschrieben, er wolle nicht bei Elternabenden dem „Arschloch“ begegnen, das die White Stripes „ausschlachte“. Nun ja, mit der Veröffentlichung von „Turn Blue“ haben „The Black Keys“ bewiesen, dass sie eigene Musik machen können. Insofern kann White seine Kinder ruhig auf dieselbe Schule schicken.
Aber zurück zum neuen Album. White erweitert sein Arsenal nicht, wie mancher Musikkritiker anmerkt. Aber ist das schlecht? Er hämmert uns wieder heftige Riffs entgegen und entlockt der E-Gitarre Töne hart an der Schmerzgrenze. Entschuldigt mal liebe Arsenalerweiterungsverfechter, aber was soll daran zu kritisieren sein? Wenn ein Musiker seinem Stil treu bleibt und trotzdem neue packende Songs abliefert, dann ist das wohl eher ein Grund für tiefe Zufriedenheit. Die Gefahr, Fans zu vergraulen, läuft White mit diesem feinen Album gewiss nicht.
Zwei Alben, die zur selben Zeit auf den Markt kommen. Zwei Alben von Künstlern, die aus derselben Musikecke stammen, die sich musikalisch aber weit voneinander entfernt haben. Zufriedenheit wie bei Jack White wird sich bei den „Black Keys“ nur dann einstellen, wenn man wie die Band selbst bereit ist, sich vom alten Stil zu verabschieden. Oder wenn man für sich die Band neu entdeckt und damit unbelastet an das neue Album herantreten kann. Freunde eingängiger Popmusik werden gewiss ihre Freude an dem neuen Album haben. Fans der ersten Stunde werden sich mit Grausen abwenden.
„Turn Blue“
Anspieltipps: Gotta Get Away, Year In Review
Bewertung: 4 von 5 Punkten
„Lazaretto“
Anspieltipps: Lazaretto, High Ball Stepper
Bewertung: 4 von 5 Punkten